New York liebt man oder hasst man. Ich habe für ein paar Jahre in „The City“, wie sie von ihren Bewohnern genannt wird, gelebt und gehöre zu denjenigen, die New York lieben. Dennoch: leben möchte ich dort nicht mehr.
Im Minutentakt rattert die Subway
New York, die Stadt, die niemals schläft, ist vor allem eins: laut. Da ist der ständige Lärmpegel des Straßenverkehrs, inklusive der obligatorischen Sirenen von Polizei und Feuerwehr. Im Minutentakt rattern die Subways unter der Stadt entlang und versetzen alles, was im Umkreis von 1 oder 2 Straßen über den Tunnelröhren liegt, in Schwingung. Je nach Wetterlage landen oder starten die Flieger von 3 großen Flughäfen über den Dächern Manhattans. Im Sommer summen und brummen die Klimaanlagen, die in die Schiebefenster geklemmt werden, und konkurrieren mit der Kakophonie aus Rap, Hip-Hop, Salsa und sonst allerhand Weltmusik, die aus Wohnungen, Autos oder der Boombox auf dem Gehweg schallt.
Im Hochsommer kommt dann die sogenannte Klimaanlage für Arme dazu: wer einen Nachschlüssel hat, ist der Held im Viertel und dreht unter großem Applaus der hitzegeplagten Anwohner die Hydranten auf. Das kühlende Wasser schießt wie ein tosender Wasserfall auf die Straße. Sich über die Verschwendung von kostbaren Ressourcen aufzuregen, stößt weitgehend auf Unverständnis. New York ist im Sommer schier unerträglich schwül-heiß, und die Backsteinhäuser sind so schlecht isoliert, dass ihre Bewohner keine andere Wahl haben, als ihren Klappstuhl zu packen und sich rund um das kühle Nass zu versammeln.
Ein Zauber liegt über der Stadt
Richtig still wird die Stadt nur im Winter. Wenn Schnee wie ein Dämpfer das geschäftige Treiben zum Stillstand bringt. Für eine kurze Zeit liegt dann ein unbeschreiblicher Zauber über New York, bevor die Müllautos, zu Schneepflügen umgebaut, sich den Weg durch das Gitternetz der Straßen bahnen und aus den Schneemassen kniehoher Matsch geworden ist. Dann geht das Gewusel wieder los, und die New Yorkerinnen rennen in ihren schicken Kostümchen aber mit Gummistiefeln (die Pumps mit einem Absatz von 10 cm aufwärts warten ja unter dem Schreibtisch im Büro) zur Arbeit.
Es war einer dieser wunderschönen Herbsttage, an denen morgens die Sonne an einem strahlend blauen Himmel aufgeht und die noch nacht-kühle Luft im Nu aufwärmt. Mich überkam eine unbändige Sehnsucht nach Natur, nach Wald. Von der Grand Central Station nahm ich den Zug in Richtung Connecticut, durch East Harlem und die Bronx mit ihren trostlosen, lebensfeindlichen Hochhäusern. Hinaus aus der Stadt, entlang am glitzernden Wasser des Long Island Sound, durch Greenwich und Darien, mit ihren riesigen Villen, deren Gärten eher wie kleine Golfplätze aussehen. Was für ein Kontrast.
Indian Summer
Einmal umsteigen in den klapprigen Dieselzug hinauf Richtung Danbury, der nur für mich zu fahren schien. Zugfahren ist in den USA nicht besonders angesagt. Was unter anderem daran liegt, dass das Streckennetz unglaublich schlecht ausgebaut ist.
In Redding stieg ich aus. Ein richtiger Ort ist Redding eigentlich nicht. Main Street gibt es hier nicht, nur vereinzelt Häuser, die weitläufig in lichten Laubwäldern verstreut sind. Quietschend und keuchend fuhr der Zug wieder an und ließ mich auf dem Bahnsteig an einer Blockhütte, die sich Bahnhof nannte, zurück. Und da stand ich, um mich herum nur Bäume. Es war der Höhepunkt des Indian Summer, und das Herbstlaub war ein Feuerwerk von Farben.
Stille schafft Raum
Der kleine Bummelzug ratterte in der Ferne weg. Es wurde still. Unheimlich still. So still, dass mir schwindelig wurde. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich die Orientierung verloren. Erst jetzt fiel mir auf, wie sehr ich mich an den Lärm der Stadt gewöhnt hatte. Und wie sehr ich mich nach der Stille im Wald sehne.
Stille tut gut. Stille schafft Raum im Kopf für Reflektion, für Kreativität. Stille ist für mich wie ein jungfräulich weißes Stück Papier, das dazu einlädt, frische Gedanken und neue Ideen niederzuschreiben.