Es war auf einer Wanderung in den Alpen. Ich hatte an einer Gabelung offensichtlich den falschen Weg gewählt und plötzlich kam ich an eine Schranke. „Hier geht es nicht weiter“ war auf einem Schild zu lesen.
Was nun? Die letzte Abzweigung, an die ich mich erinnern konnte, lag gut 2 oder 3 Kilometer hinter mir. Ein Blick auf die Karte sagte mir, dass ich im Prinzip über die Schranke klettern könnte, und dann müsste ich einfach nur quer durch den Wald gehen, über Stock und Stein und durch das Dickicht. Irgendwann würde ich dann wieder auf den rechten Weg kommen. Luftlinie war das gar nicht so weit. Ich könnte also so tun, als hätte ich das Schild nie gesehen und mich darüber hinwegsetzen. Einfach meinen eigenen Weg gehen.
Oder ich müsste die halbe Strecke wieder zurückgehen. Rückschritt gewissermaßen. Das würde viel Zeit kosten, aber der Weg war außergewöhnlich schön gewesen, mit einem herrlichen Ausblick auf die Berge. Allerdings müsste ich schon einen gewaltigen Schritt zulegen, wenn ich abends den letzten Zug zurück nach München bekommen wollte.
Wie oft hatte mir das Leben schon solche Hier-geht-es-nicht-weiter-Schilder in den Weg gestellt. So viele Situationen, in denen ich eine Alternative gewählt hatte, die mich nicht weiterbrachte, die auf den sogenannten Holzweg führte. Wie oft war ich allen Anzeichen zum Trotz mit dem Kopf durch die Wand gerannt. Oder ich hatte meinen Dickkopf einfach in den Sand gesteckt und mich der Tatsache nicht stellen wollen, dass ich so nicht weiterkommen würde, weil ich eine falsche Entscheidung getroffen hatte.
Aber was bedeutet das überhaupt – eine falsche Entscheidung. Fehler machen wir alle und ständig. Man muss sich diese eingestehen und, wenn möglich, korrigieren. Aber auf dem Lebensweg? Gibt es da überhaupt ein richtig oder falsch? Ist es nicht viel mehr so, dass die Erfahrungen, die wir auf einem scheinbar falschen Weg gemacht haben, zu uns gehören und uns zu dem machen, was wir sind?
Das ist ein bisschen wie die Frage, ob ein Glas halb voll ist, oder halb leer. Halb voll natürlich, tönen die meisten mit dem Brustton der Überzeugung, denn wir wollen positiv denken. Positiv Denken ist cool. Mein Glas aber ist nicht halb voll. Meines ist halb leer. Denn ich habe die erste Hälfte bereits getrunken, und sie hat wunderbar geschmeckt. Bittersüß.
Ich habe mich diesmal dazu entschieden, das Warnschild nicht zu ignorieren und bin den Weg zurückgegangen. Ob es die richtige Entscheidung war, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass der Blick auf die Alpen aus der anderen Perspektive atemberaubend schön war.