Wenn ich mit der Welt im Unreinen bin, ist Unkrautjäten für mich die beste Therapie. Einfach alles, was nicht passt, aus dem Beet rupfen. Die Hände schmutzig machen und die feuchte Erde spüren. Aufräumen im Garten und Aufräumen im Kopf. Platz machen für das, was wirklich wichtig ist.
Während ich mit den bloßen Händen und geübtem Blick zwischen den Rosen nach Missetätern suche, frage ich mich, warum das eine Pflänzchen schön ist und sich weiter entfalten darf, das andere aber schlecht ist und ausgerupft gehört. Löwenzahn zum Beispiel. Kraftvoll, mit strahlend gelben Blüten. Man kann aus den Blüten Gelee kochen, und die Blätter ergeben einen leckeren Salat.
Was für ein Wunder, wenn aus der robusten Blüte eine zerbrechliche Pusteblume wird. Wie dieser wattezarte Ball mit dem kleinsten Windhauch auseinander stäubt, und die einzelnen Samen an ihren kleinen Fallschirmen wegschweben, um sich dann auf einem nackten Platz Erde niederzulassen, wo aus ihnen ein neuer Löwenzahn wird mit leuchtend gelben Blüten.
Unkraut ist eine Pflanze, die zur falschen Zeit am falschen Ort wächst, sagt man. Irgendwie fühle auch ich mich so. Wie habe ich mich doch im Laufe meines Lebens von der Erde, zu der ich eines Tages zurückkehren werde, entfernt. Statt im Einklang mit der Natur zu leben, verbringe ich den Großteil meiner Zeit vor dem Bildschirm. Aus Realität wurde virtuelle Realität.
Überhaupt, woher kommt dieser Begriff „virtuelle Realität“? Etymologisch hat „virtuell“ seine Wurzeln im lateinischen „virtus“, was so altmodische Begriffe wie Mannhaftigkeit, Tugend und Tüchtigkeit bedeutet. Virtuelle Realität, das ist aber etwas, was in Wirklichkeit gar nicht existiert und mir als Betrachter dennoch wirklich erscheint. Etwas Unechtes und damit von Tugendhaftigkeit weit entfernt.
Für heute habe ich genug von all dem, was mir das Internet vorgaukelt, von all dem Unechten, was Social Media mir vormachen. Ich gehe raus in den Garten. Unkrautjäten. Im Beet und im Kopf.