Es kommt wie das Amen in der Kirche: wann und wo ich über Lebensformen im Alter, das Leben auf dem Land und im Einklang mit der Natur spreche: „ja, aber wo ist denn da das nächste Krankenhaus.“
Wie kommt es, dass wir derartig fixiert auf das Leben in Krankenhausnähe sind?
Trostlos, laut und einsam
Es muss ungeheuer schön sein in der Stadt, gleich neben dem Krankenhaus. In einer Etagenwohnung, mit ständig wechselnden Nachbarn, die man nicht kennt. Aus dem Fenster sieht man auf die Häuserzeile gegenüber, und da wohnen auch ganz viele unbekannte Nachbarn. Bäume gibt es in der Straße nicht, aber das Krankenhaus gleich nebenan hat einen begrünten Innenhof, und der ist ja recht schön.
Zwei Straßen weiter gibt es einen Park, mit altem Baumbestand, Grünflächen, und manchmal kann man sogar Eichhörnchen sehen. Was man dort leider immer sieht, sind die Dealer, die den Park fest im Griff haben. Fühlt sich irgendwie nicht so gut an dort, vor allem, wenn man seine Füße nicht mehr gar so schnell unter die Arme nehmen kann. Und auch, wenn man nicht mehr ganz so gut hört, wenn sich jemand von hinten nähert.
Apropos Gehör: das Martinshorn der Krankenwagen, die zum Krankenhaus rasen, das hört man ziemlich gut. Tag und Nacht. An den Autolärm hat man sich ohnehin gewöhnt. Das ist so ein Hintergrundrauschen, fast wie ein Mühlbach im Schwarzwald. Zoom, zoom, zischt die Straßenbahn fast unhörbar vorbei, und nur Sonn- und feiertags fällt einem auf, dass die Luft draußen irgendwie besser riecht.
Das mit der Straßenbahn ist im Prinzip eine feine Sache. Direkt vorm Haus kann man dort einsteigen – Niederflurfahrzeuge, das geht dann später auch mit dem Rollator. Mit der geht’s dann zur U-Bahn, und mit der U-Bahn geht es zu einem der vielen Kulturevents, die eine Stadt anzubieten hat. Möglichst eine Matinee oder ein Konzert am Nachmittag. Damit man noch zu Zeiten wieder nachhause kommt, zu denen man sich einigermaßen sicher fühlen kann. Denn das Umsteigen an den U-Bahnhöfen, mit den vielen Treppen und dunklen Gängen, das fühlt sich gar nicht gut an.
Zuhause gähnende Leere
Niemand, mit dem man über den Theater- oder Konzertbesuch sprechen könnte, das Erlebte nachklingen lassen und verarbeiten.
Aber morgen, da geht es ja zur Vernissage hier im Kiez. Da sind sicher ganz viele Leute, mit denen man sich bei einem Gläschen Sekt und Häppchen gepflegt unterhalten kann. Und da kommt man ja zu Fuß hin, über die gepflasterten Bürgersteige. Man muss schon ein bisschen vorsichtig gehen, denn hier und da fehlt ein Pflasterstein, weil mal wieder jemand etwas brauchte, um ein Autofenster einzuschlagen. Unglücklich ins entstandene Loch getreten, und schwupp liegt man auf der Nase und hat eine klaffende Wunde.
Da zahlt es sich aus, in Krankenhausnähe zu wohnen. Die Wunde heilt zwar lange nicht, aber dafür hat man sich ein paar antibiotikaresistente Keime, die in Krankenhäusern so gerne herumfliegen, eingefangen.
Krankenhausnähe oder Lebensqualität
Selbstverständlich gibt es medizinische Notlagen, in denen jede Minute zählt, bis man ärztliche Versorgung hat. Schlaganfall und Herzinfarkt zum Beispiel. Es ist aber durchaus so, dass auch in ländlicher Umgebung ein Krankenhaus erreichbar ist. Nur, um wegen solch eines Notfalles auf die Lebensqualität zu verzichten, die das Leben in und mit der Natur mit sich bringen, scheint mir absurd.
Davon abgesehen: sollte sich bei mir ein derartiger medizinischer Notfall ergeben, bin ich mir nicht sicher, ob ich ins Leben zurückgeholt werden möchte. In ein Leben, das mit großer Sicherheit dann nicht mehr so ist, wie ich es mit meinem eigenen Verständnis von Würde vereinbaren könnte. Das möglicherweise mehr ein Dahinvegetieren ist, als dass es die Bezeichnung Leben verdient.
Ist es nicht viel schöner, wenn es so weit ist, eins zu sein mit der Natur und loszulassen?