Rosen spielen eine große Rolle in Adalbert Stifters Roman „Nachsommer“ aus dem 19. Jahrhundert. Mit einer für unsere Zeit an die Grenzen der Geduld gehenden und dennoch wohltuenden Langsamkeit beschreibt der österreichische Schriftsteller die ineinander verschlungenen Lebenswege zweier Paare.
Der junge Naturwissenschaftler Heinrich sucht vor einem drohenden Gewitter Schutz an einer Hauswand, an der sich blühende Rosen in allen erdenkbaren Farben hinaufranken. Er kommt mit dem Besitzer des Hofes ins Gespräch, und dies ist der Anfang einer tiefen Freundschaft zwischen dem alten Gutsbesitzer Gustav und dem jungen Heinrich.
Heinrich kommt immer wieder aus der Stadt hinaus aufs Land und besucht seinen Gastfreund für längere Zeit. Er lernt von dem erfahrenen, alten Mann viel über die Zusammenhänge der Natur und ökologische Landwirtschaft. Auch Kunst und der Erhalt von Kunsthandwerk spielen eine große Rolle. Eines Sommers verliebt sich Heinrich in Natalie, die Tochter von Gustavs Jugendliebe Mathilde. Sie heiraten, während Gustav und Mathilde nurmehr den Nachsommer ihrer unerfüllten Liebe erfahren.
„Sie war eine alte Frau“ erzählt Heinrich. „Augenblicklich, da ich sie sah, fiel mir das Bild ein, welches mein Gastfreund einmal über manche alternde Frauen von verblühenden Rosen hergenommen hatte. ‚Sie gleichen diesen verwelkenden Rosen. Wenn sie schon Falten in ihrem Angesichte haben, so ist doch noch zwischen den Falten eine sehr schöne, liebe Farbe‘, hatte er gesagt, und so war es bei dieser Frau. Über die vielen feinen Fältchen war ein so sanftes und zartes Rot, dass man sie lieben musste, und dass sie eine Rose dieses Hauses war, die im Verblühen noch schöner sind als andere Rosen in ihrer vollen Blüte.“
Die Rosen blühen dieses Jahr besonders üppig. Jeden Tag gehe ich zum Rosenbeet um die verwelkten Rosen herausschneiden, damit möglichst viele neue Blüten nachwachsen. Und jedes Mal gehen mir Stifters Sätze nach, in denen er verwelkende Rosen mit älter werdenden Frauen vergleicht.
Ich halte die welkenden Blüten in der Hand und betrachte sie, bevor ich die Schere ansetze. Blasser in der Farbe und mit müde hängenden Blütenblättern, tragen sie dennoch zum wunderbar reichen Anblick des Rosenbusches bei. Und ihr Duft ist betörend, vielleicht sogar stärker als der Duft der frisch aufgesprungenen Knospe. Diese junge Rose, die sich noch gar nicht ganz entfaltet hat und dennoch in ein paar Tagen selbst abgeblüht sein wird.
Ich schenke der alten Dame in der Rosenhecke noch einen weiteren Tag der Blüte. Einen Nachsommertag.
Mir wird meine eigene Vergänglichkeit klar, der unwiederbringliche Verlust der Jugend.