14 Quadratmeter. Ein Bett, ein Stuhl, ein Fernseher. Seit 7 Jahren. Das sind 365 einsame Wochenenden oder 2555 mal morgens aufwachen und nichts als den kahlen Beton der Hauswand gegenüber sehen. So habe ich das in einem Artikel über eine 86-jährige Dame in einem Berliner Pflegeheim gelesen. Sie gehört zur Risikogruppe für Covid-19 und deshalb darf sie jetzt nicht einmal mehr ihr kleines Zimmer verlassen. Sie darf nicht in den Innenhof des Heimes, nicht in den Garten, nicht einmal auf den Flur. Besuche sind verboten. Frühstück, Mittagessen, Abendbrot isst sie allein in ihrem Zimmer. Sie sagt „im Strafvollzug nennt man das Einzelhaft“.
Das tut weh. Die unglaubliche Traurigkeit des Gedankens, weggesperrt zu werden, macht mir Angst. Tag für Tag aus dem Fenster auf die gleiche Betonwüste zu starren, den Himmel nicht zu sehen, die Wolken. Wie traurig ist es, wenn man niemanden hat, mit dem man Gespräche führen kann, niemanden mit dem man lachen kann, sondern einfach weggesperrt ist, zur Vereinsamung verdammt. Entsorgung auf Raten – was ist das für eine Gesellschaft, in der wir leben.
Ich möchte das so nicht. Nicht für mich und nicht für irgendeinen meiner Mitmenschen.
Jetzt ist die Zeit zu handeln und die Weichen zu stellen, damit ich meinen Lebensabend nicht weggesperrt und in Einzelhaft verbringen muss. Noch habe ich die Kraft, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen und dafür zu sorgen, dass ich es eines Tages nicht einer Gesellschaft übergeben muss, die ich so nicht akzeptieren kann.
Als ersten Schritt habe ich mein Leben aufgeräumt, innerlich und äußerlich. Dazu habe ich mich intensiv mit meinem bisherigen Leben auseinandergesetzt. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie ich meine restliche Lebenszeit gestalten möchte und welchen Sinn ich meinem weiteren Leben geben möchte.
Für mich war es ein befreiender Reinigungsprozess, mich auf der Schwelle zum dritten Lebensabschnitt von überflüssigem Besitz zu befreien. Businesskleider und Bikinis, High Heels und Ballerinas, zerlesene Bücher, alte Zeitschriften, Osterhasen und Weihnachtssterne: je mehr ich weggegeben habe, desto freier fühlte ich mich. Und desto fremder wurde mir das Konzept von Eigentum.
Wir alle haben Dinge, an denen unsere Erinnerungen hängen. Auch von diesen habe ich mich bewusst getrennt, denn ich trage die Erinnerungen in mir, eingebrannt in mein Gehirn. Erinnerungskrücken brauche ich (noch) nicht. Und wenn ich mich eines Tages nicht mehr erinnern kann, dann will ich wieder gelernt haben, mich am Hier und Jetzt zu freuen. Leben im Moment.
Ich träume davon, als alte Frau einfach unter einem Baum zu sitzen, mit einem Hund zu Füßen und einer Katze auf dem Schoss und den Wolken zuzuschauen, wie sie über einen strahlend blauen Himmel ziehen. In den Wolken sehe ich Formen und Figuren, die sich ständig verändern. Erst ein wilder Drachen, dann ein Elefant und schließlich ein Dackel mit Schlappohren vielleicht. Oder ein galoppierendes Pferd, das sich auf seinem Ritt über den Himmel in ein Kaninchen verwandelt. Alles, was ich dafür brauche, ist freie Sicht auf den Himmel.
Ich habe meine Zelte im Großstadtdschungel abgebrochen, die Last von Besitz hinter mir gelassen und bin hinaus in die Natur gezogen. Ein Bett, ein Tisch mit einem Stuhl zum Arbeiten, einen kleinen Kleiderschrank und die Möglichkeit, die Tür auch mal hinter mir zu machen zu können. Frische Luft, Bäume und Wiesen, Gespräche unter Freunden. Was brauche ich mehr?
Den gemeinsamen Wohnraum, den Garten und die Haustiere teile ich mit Freunden, in gegenseitigem Respekt. Selbstbestimmt innerhalb einer Gemeinschaft zu leben ist mir wichtig. Sollte ich mein Recht auf Selbstbestimmung nicht mehr wahrnehmen können, dann ist meine Zeit auf der Erde abgelaufen. Wenn Ihr dann eines Tages einen Wolkendackel mit ganz besonders großen Schlappohren am Sommerhimmel seht, dann könnte ich das sein, die Euch von oben zuwinkt.