Freunde behaupten, ich würde nie Ferien machen. Stattdessen würde ich immer gleich umziehen. Sie haben damit nicht ganz unrecht. Tatsächlich habe ich unzählige Male meine Siebensachen – Verzeihung, meine gefühlten Siebenmillionensachen, 2 Konzertflügel inklusive – in Kisten verpackt und kreuz und quer durch Europa gekarrt oder per Schiff über den Atlantik geschickt.
Irgendwann reduzierte sich die Haushaltsgröße. Die Kinder wurden flügge und eines Tages stand ich allein da. Mit sechseinhalb Millionen Sachen. Und ich fragte mich: was soll ich eigentlich mit all den Dingen? Auf wie vielen Sofas und Stühlen sitze ich? Wie viele Erinnerungsstücke und Deko-Objekte möchte ich jede Woche staubwischen? In wieviel Pfannen kann ich gleichzeitig etwas brutzeln? Wie viele Klaviere kann ich gleichzeitig mit meinen 2 Händen spielen – abgesehen davon, dass ich eigentlich überhaupt nicht Klavierspielen kann? Und überhaupt, wie viele Paar schwarze Pumps braucht Frau?
Meine Wohnung war vollgestopft mit Dingen, die mich an die Vergangenheit erinnerten. Manchmal waren es schöne Erinnerungen, die mich innerlich lächeln ließen. Oft waren es aber auch schmerzliche Erinnerungen, die mich einfach nur traurig machten. Egal welcher Art, durch die Erinnerungen war ich auf meine Vergangenheit fokussiert, und das war in einer Umbruchsphase, in der ich einen neuen Lebensabschnitt, meine Zukunft, in die Hand nehmen wollte und sollte, nicht der richtige Blickwinkel.
Eines der vielen Bücher, die bei mir herumlagen, ohne jemals gelesen worden zu sein, war das Aufräumbuch von Konmari, das ich zu irgendeinem Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Beim Staubwischen fiel mein Blick darauf, und ich habe es nicht mehr weggelegt, bis ich Kapitel für Kapitel der Anleitung zum Aufräumen gefolgt war.
Es begann damit, dass ich sämtliche Kleider, aber auch wirklich alles, aus den dunkelsten Ecken meiner Wohnung zusammensuchte, auf einen großen Haufen warf, um dann Stück für Stück wieder in die Hand zu nehmen und mich zu fragen: brauche ich das wirklich noch? Ich entschied mich, alles, was ich in den letzten 6 Monaten nicht getragen hatte, wegzugeben. Auch und vor allem die Impulskäufe, die Relikte einiger “Shopping-Therapie”-Sitzungen. Übrig blieb eine überschaubare Menge an Business- und Freizeitkleidung. Der Rest wurde in Tüten verpackt und kam zum Altkleidercontainer. Mit jedem Kleidersack, den ich dort drinnen versenkte, überkam mich ein unerwartetes Glücksgefühl. Ballast viel von mir ab. Wortwörtlich.
Als nächstes kamen die Bücher dran. Ein schwieriges Kapitel, zumal ich aus einer Buchhändler-Familie komme. Bücher wegzuschmeißen kam für mich als Kind einer Todsünde gleich. Aber was ist wichtig an einem Buch? Der Inhalt, oder die Druckerschwärze auf Papier? Den Inhalt hatte ich in mir, sobald ich das Buch gelesen hatte. Also landete Kistenweise Druckerschwärze auf Papier im Altpapiercontainer. Nachdem ich auch für das Bücherregal einen dankbaren Abnehmer gefunden hatte, blieb ein Stück saubere weiße Wand in meinem Wohnzimmer, bereit, neue Gedanken, neue Ideen aufzunehmen.
Die Küche wurde ausgemistet. Was blieb, war das Äquivalent einer IKEA Starter-Box, ein paar andere Utensilien und die Espressomaschine. Im Bad verschwanden sämtliche Parfümreste, auch die Sondergröße Chanel No. 5, die ich übermüdet vor Jahren in irgendeinem Flughafen Duty-Free gekauft hatte, weil man dort eben etwas kauft, nicht weil man etwas braucht. Ich mochte den Duft ohnehin nie.
Selbst eine Kiste mit meinen alten Schulheften war von Deutschland nach Italien, nach Frankreich, nach Österreich, in die Niederlande, wieder nach Deutschland, woanders in Deutschland, in die USA, nach Mittelamerika und was weiß ich noch gezogen – ohne dass ich mir den Inhalt jemals angesehen hätte. An einem grauen Adventssonntag wurde sie ganz einfach entsorgt. An meine Schulzeit hatte ich ohnehin keine guten Erinnerungen – was sollte ich mit all den Fünfern und noch ein bisschen schlechter in Mathematik und Physik?
Fotos wurden digitalisiert und anschließend vernichtet. Das Einzige, was mir wirklich schwergefallen ist, waren die Bastelarbeiten meiner Kinder. Die Bilder, die sie gemalt hatten, die Geburtstagsbriefe, Muttertags- und Weihnachtskarten. Ich habe jede einzelne Bastelei oder Zeichnung in die Hand genommen und mich schließlich entschieden, von jedem Kind drei Erinnerungsstücke zu behalten. Ein Mutterherz kann halt nicht anders.
Am Ende des letzten Aufräumtages überkam mich eine wunderbare Leichtigkeit. Ich hatte meinen Hausrat auf ein Sofa, zwei Sessel, einen Esstisch mit 4 Stühlen, eine Kommode, einen Kleiderschrank, ein Bett, die Hälfte meiner Sammlung von Designer-Leuchten (es waren immer noch mindestens 10 Stück), mein heiß geliebtes Laptop und das Nötigste für Küche und Bad reduziert. Außerdem hatte ich ein paar Orchideen, eine Bodenvase, meine kleine, überschaubare Elefantensammlung und einen Teil meiner Bilder behalten. Ach ja, ein Bücherregal war auch geblieben. Es gab dann doch ein paar Bücher, ohne die ich dachte, nicht leben zu können.